Musterung :)

  • Hab ich so gefunden, weis ned obs schonmal da war :)


    "Sind Sie Brillenträger?" "Wie Sie sehen: ja" Die Musterung für den Wehr- oder Zivildienst ist eigentlich kein einschneidendes Erlebnis für junge Männer. Unser Autor sammelte dabei trotzdem unvergeßliche Eindrücke. Ein Erlebnisbericht aus dem Kreiswehrersatzamt. Von Simon Kerbusk Mein Musterungstermin ist um acht Uhr morgens. Ich bin pünktlich. Hinter dem Eingangsportal des Kreiswehrersatzamtes in der Sophienterrasse 14 wartet der Pförtner. Als ich meinen Personalausweis vorzeige, klemmt er die Kippe zwischen seine Zähne und streicht meinen Namen aus einer Liste aus. "Anmeldung 2. Stock", brummt er, dann wendet er sich seiner Zeitschrift zu. Was erwartet mich? Intensive psychologische Tests? Militärisch präzise Organisation? Ein deutsches Amt wie aus dem Bilderbuch? Ich habe keine Ahnung. Kurze Anmeldung im Büro. "Bitte nehmen Sie doch im Wartezimmer Platz." Auf den Tischen im Wartezimmer liegen statt "Bunte" oder "Stern" "Y - Das Magazin der Bundeswehr" und "loyal - Das deutsche Wehrmagazin". Ich blättere zwischen Artikeln über Stealth-Technologie und die Ausbildung des Kommandos Spezialkräfte, warte. Eine Stunde vergeht. Hätte ja gar nicht so früh aufstehen brauchen, denke ich mir. Dann aber geht es los. Eine junge Frau bringt mich in ein karges Büro und stellt Fragen. Voraussichtlicher Schulabschluß. Leistungskurse. Zahl der Stunden, in denen ich pro Woche Sport treibe. Bei den Fragen nach dem Familienstand (ledig) und Kindern (keine) merke ich kurz an, daß ich 19 Jahre und Schüler bin, es folgen dann aber trotzdem auch noch Fragen nach Funkpatent, Kapitänspatent, Segelschein und Kfz-Mechanik-Kenntnissen. "Bei allen diesen Fragen sagen alle immer nein", erklärt mein Gegenüber freundlich, "aber wir müssen sie stellen." Ach so. Immerhin bekomme ich einen Ausdruck mit meinen Angaben in die Hand gedrückt, den ich beim nächsten Gespräch vorzeigen kann. Ich darf das Wartezimmer wechseln, auf der Zwischentür auf dem Weg dorthin steht "Psychologischer Dienst". In dieser Abteilung sind alle Türen offen. Man hört im Wartezimmer jedes Gespräch. Auch, wie sich ein "Uwe"* und seine Kollegin über den Flur ein Gespräch zubrüllen. Das klingt so: Uwe: "Bei mir ist alles blau!" Kollegin (zwei Büros weiter): "Du mußt oben anrufen!" Uwe: "Ich fahre noch mal runter und noch mal rauf!" Kollegin: "Uwe?! Nein! Jetzt ist hier die Fünf angenommen! Uwe, du hast die Fünf angenommen!" Uwe: "Bei mir ist alles blau, ich kann gar nichts angenommen haben!" Kollegin: "Es steht hier aber, daß du die Fünf angenommen hast!" Uwe: "Ich fahre noch mal runter und wieder rauf.


    " Ich werde zu Uwe gerufen, obwohl ich nicht die Fünf bin. Bei Uwe ist aber auch nichts blau, das Büro ist grau, vielleicht war es mal weiß. Uwes Haare und sein Schnurrbart sind auch grau, sie waren wohl mal schwarz. Auf dem Schreibtisch steht eine Dose, darin kleben Zitronendrops am Rand. Uwe hat ein Schild gebastelt und auf die Dose geklebt, "Selbstbedienung" steht da drauf. Mir ist nicht nach Drops. Uwe fragt mich nach meinem voraussichtlichen Schulabschluß, Familienstand und Kfz-Kenntnissen. Ich wedele mit meinem Ausdruck, das habe ich schließlich alles schon mal gesagt. "Ja, ja", nickt Uwe, "das müssen wir aber hier noch mal ins System eingeben." Ach so. Ich füge mich ins System, ich will schließlich nach Hause, fast zwei Stunden bin ich jetzt hier. Also: ledig, keine Kinder, Abschluß 2006, kein Kapitänspatent. "Es folgt nun ein Test nach dem Mehrfach-Auswahlverfahren, besser bekannt als Multiple Choice." Uwe sagt das, als ob der Satz aus einer Dienstvorschrift stammt. Er sagt ihn wahrscheinlich jeden Tag immer wieder genau so, und so klingt es auch. Ich denke, ich spreche mit einem Computer. Viele Sätze hier klingen so. Nach dem Besuch bei Uwe kommt mir zum ersten Mal der Gedanke an den Film "Asterix erobert Rom" und den Passierschein A 38, den Asterix zusammen mit Obelix aus dem "Haus, das Verrückte macht" holen muß. Die beiden Gallier werden in der seltsamen Behörde vor lauter Formularen, schrägen Prozeduren und bürokratischen Fragen fast verrückt, ehe sie schließlich doch den Passierschein bekommen. Mein Passierschein A 38 heißt zwar Musterungsbescheid, trotzdem fühle ich mich irgendwie in einer ähnlichen Situation. Die psychologischen Tests sind nicht intensiv, die Organisation ist nicht militärisch präzise, es ist hier viel mehr wie im "Haus, das Verrückte macht".
    Spätestens als ich beim Sehtest von der Frau im weißen Kittel gefragt werde, ob ich eine Brille trage, zweifle ich etwas an meinem Verstand. Schließlich ist die Brille in meinem Gesicht gut sichtbar, und die Frau im weißen Kittel hat mich beim Reinkommen angesehen. Ich sage also: "Wie Sie sehen: ja." Keine Reaktion, kein Wort, kein Lächeln, sie verzieht keine Miene, macht sorgfältig ein Kreuz auf dem Formular. Ich glaube, sie macht jeden Tag viele Kreuze. Nach dem Sehtest darf ich wieder warten, in einem neuen Wartezimmer, meinem dritten. "Die Wände können auch nichts dafür, wenn es etwas länger dauert, die Reinigung ist teuer, es sind schließlich auch Ihre Steuergelder", steht auf einem Zettel neben einem Symbol mit durchgestrichenem Edding. Ich habe keinen Edding zur Hand. Noch ein Wartezimmer später springt ein Leidensgenosse auf und ruft: "Die Scheiß-Warterei hier kotzt mich an!" Dann setzt er sich wieder hin. Wir gucken ins Leere. Er kommt vor mir dran. Ein Mann mit weißen Haaren und weißem Kittel, wohl der Arzt, sagt mir, daß es für mich wohl noch eine halbe Stunde oder so dauert. Ich könne aber in die Kantine gehen, das lohne sich bestimmt, die sei sehr schön und günstig. Die Kantine ist im Keller, im Flur kommt dank Stahltüren und langer, schmaler Gänge echtes Bunker-Feeling auf. Ich drücke die Klinke der Stahltür mit dem Kantinen-Schild runter - abgeschlossen. Dann öffnet sich die Tür von innen, eine Frau schaut raus, guckt mich an: "Ach so, die Kantine ist heute geschlossen." In dem Raum sehe ich Leute essen, die Tür geht zu, ich gehe zurück in mein Wartezimmer. Die Gedanken schweifen ab. "Wir kommen hier nicht mehr raus, Asterix, hier kann uns nicht mal mehr der Zaubertrank helfen." Schließlich kommt doch noch der Arzt. Als erstes ein paar Fragen: Schulabschluß, Sportstunden pro Woche - es sind wieder die gleichen. Ich wundere mich nicht mehr. Meinen Passierschein A 38, meinen Musterungsbescheid, bekomme ich heute nicht. Der Arzt möchte noch eine Kleinigkeit überprüfen lassen, im Bundeswehrkrankenhaus. Also gut, dann aber jetzt nach Hause. "Bitte nehmen Sie noch einen Moment im Wartezimmer Platz." Manchmal steckt der Wahnsinn in einem ganz alltäglichen Satz.
    Seit sechs Stunden bin ich jetzt im


    Kreiswehrersatzamt, ich höre auf zu fragen, worauf ich warte.


    Es kommt ein Abschlußgespräch. Ich erfahre, daß sich der Arzt noch


    nicht festgelegt hat. Das wußte ich auch schon vorher. Was also gibt


    es noch zu tun? Einen Fragebogen ins System eingeben, danach darf ich


    dann gehen, es ist jetzt fast drei Uhr. "Schulabschluß 2006", sage


    ich.


    * Name geändert

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