Nicht umsonst wird doch immer der Vergleich mit der Sprache genannt. Ich finde den extrem passend. Die Technik ist das Vokabular, die Grammatik, die Aussprache. Wenn ich jetzt damit aber nichts zu sagen habe, nützt es mir wenig. Je kreativer Menschen mit Sprache umgehen können, desto besser kommen sie oft an. Sie formen mit Hilfe von Technik Aussagen, die originell, lustig, pointiert usw. sind. Im alten Rom war der Umgang mit Sprache auch eine Kunst, die Debattenkultur war ausgeprägt und wurde öffentlich zelebriert.
Auch wenn es gern etwas romantisiert wird, aber der Analphabet wird vermutlich keinen literarischen Knüller verfassen. Es gibt sicherlich Ausnahmen, bei denen der Künstler über erstaunlich wenig Technik im herkömmlichen Sinne verfügt. Das wird dann aber meistens durch Charisma und eine künstlerische Botschaft ausgeglichen. Aber seien wir ehrlich, auch wenn manche bekannten Musiker hemdsärmelig wirken, sind sie es doch in den seltensten Fällen. Gerne wird Meg White, die Drummerin der White Stripes als Nichtskönnerin bezeichnet, die dann quasi der Beweis dafür ist, dass die Technik eigentlich nachgeordent ist und nichts mit musikalischem Erfolg zu tun hat. Tatsächlich ist diese Dame überdurchschnittlich musikalisch und versorgt die Musik wie durch Zufall so, dass sie sich millionenfach verkauft.
Davon abgesehen, habe ich noch nie einen Instrumentalisten gesehen, der technisch nichts konnte, mich aber trotzdem beeindruckt hat.
Ich glaube auch, dass "Technik" hier gerne falsch verstanden wird. Wenn jemand wirklich musikbegeistert ist, befasst er sich mit seinem Instrument. Und zwar oft und intensiv. Ich selbst würde mich nicht als grandiosen Techniker bezeichnen, ich habe auch nie mehr als 2 Stunden am Stück konzentriert geübt. Aber ich habe immer den Drang, die Sachen spielen zu können, die ich ausdrücken möchte. Und dafür brauche ich Technik. Man kann es auch als Handwerk bezeichnen. Ein Tisch kann eine tolle Grundform haben, wenn der Tischler aber nicht über die technischen Fähigkeiten verfügt, ihn sauber und stabil zusammenzubauen, wird er zusammenbrechen. Und ein Politiker kann super Ideen zur Reformierung des Gesundheitssytems haben, wenn er in Reden stark nuschelt und rhetorisch ungeschickt vorgeht, wird man sich nur über ihn lustig machen.
Eine weitere Sache ist das Timing. Manchmal neigen Leute hier im Forum dazu, gutes Timing als naturgegeben hinzustellen, also als nicht-technischen Faktor. Auch das ist falsch. Alle großen Drummer haben intensivst Timing geübt. Da kann man noch so sehr ein Talent bejubeln, wer sich mal die Übepläne eines Benny Greb angesehen hat oder sich mal mit Steve Smith über seine Überoutinen unterhalten hat, der merkt, dass diese Leute zwar großes Talent haben, aber auch permanent damit beschäftigt sind, ihre Vokabeln korrekt auszusprechen, sie zu kombinieren und neue zu lernen.
Kollege Klaus Tropp kann dies sicherlich auch von seinem Studium in den USA berichten.
Meine Meinung ist, dass gutes Handwerk das Transportmittel für eine Botschaft ist. Ist kein gutes Handwerk vorhanden, wird der einfachste Groove schlecht klingen. Denn auch der einfachste Groove ist proppevoll mit Technik. Als da wären:
- die (nicht naturgegebene) Fähigkeit, drei Gliedmaßen voneinander unabhängig zu bewegen.
- die (nicht naturgegebene) Fähigkeit, dies in einem möglichst gleichmäßigen Tempo zu tun.
- die (ebensowenig naturgegebene) Fähigkeit, die innere Dynamik, also das Lautstärkeverhältnis der drei Instrumente zueinander, konstant zu gestalten.
- die (noch viel weniger naturgegebene) Fähigkeit, das Drumset dabei möglichst gut klingen zu lassen.
Das sind nur die Grundlagen. Es geht weiter mit der Variation des Grooves, mit der Variation der inneren Dynamik, Variation der Pulsbetonung usw. All das ist Technik/Vokabular/Handwerk, die aber oft als einem Schlagzeuger innewohnende "Musikalität" ausgelegt wird, die man eben hat oder nicht.
Wer erst ab dem Paradiddle an Technik denkt und nicht schon bei der Umsetzung ganz "einfacher" Ausdrucksformen, erfasst die Geschichte nicht richtig, wie ich finde. Dann passieren Beurteilungsunfälle wie "Thomas Lang, Technik, unmusikalisch, gegen Steve Jordan, keine Technik, musikalisch".
Mein Fazit: ohne Technik passiert gar nichts.
lg
max