Ich finde das ein sehr schwieriges Thema. Im Nachbardorf wurde die ganze Familie einer Schülerin "geächtet", nachdem "wegen ihr" die ganze Klasse in Quarantäne musste und ein Handwerksbetrieb 2 Wochen den Betrieb einstellen musste. Die Eltern hörten beim Einkaufen Sprüche wie "Jetzt müssen wir in Quarantäne, weil ihr nicht vom Urlaub zuhause bleiben konntet." Und wenn ich eines an der Politik verurteile, dann dass die Herrschaften solches Verhalten geradezu fördern oder gar fordern, wenn sie Dinge sagen wie, dass Nachbarn gegenseitig auf sich "aufpassen" sollten. Finde ich nicht gut, egal wie ernst die Lage ist.
Möchte diesen Beitrag von mir nochmal um ein paar Gedanken ergänzen. Einfach nur, dass dieses Gedanken mal irgendwo halbwegs öffentlich stehen und sie der/die eine oder andere einsehen und vielleicht auch weitertragen kann. Wahrscheinlich werden sie auch dann nicht in den Politikerhirnen ankommen, solange die Pandemie wütet. Aber das muss trotzdem mal an die Luft:
Two hat zu Recht von "Pseudo-Datenschutz" geredet und ich habe mit meinem Beispiel aus der Nachbarschaft widersprochen. Dazu stehe ich weiterhin. Beim Thema Datenschutz bei Corona habe ich aber noch einen anderen Punkt, und zwar in Bezug auf die "Corona App". Die Gedanken habe ich schon lange, aber gestern waren sie mir im Eifer entfallen.
Es reden also alle über diese "App". Ich kann das Wort "App" schon gar nicht mehr hören, insbesondere Politiker, die davon technisch null Ahnung haben, es aber als eines DER Heilmittel gegen Corona anpreisen! Ich maße mir an, das zu sagen, denn ich bin Software-Entwickler.
Der erste Punkt, der mich von Anfang an wunderte - und dazu muss man gar kein SW-Entwickler sein - ist folgender:
Ich, MoM Jovi, habe mich gestern mit Korki getroffen. Heute fühle ich mich grippig und lasse mich auf Corona testen. Morgen Abend erhalte ich mein positives Testergebnis, und trage es in die App ein. Wenn Korki die App auch nutzt, wird er wohl ab morgen Abend eine Benachrichtigung über einen infizierten Kontakt bekommen. Nun wird sich Korki aber bereits morgen früh mit Nachwuchstrommler und Druffnix zum Brunch treffen. Zu diesem Zeitpunkt weiß Korkis App noch nichts von meiner Inkfektion, die ich erst morgen Abend eintragen werde. Also Frage: Werden Nachwuchstrommler und Druffnix morgen Abend ebenfalls eine Benachrichtigung erhalten? Schließlich könnte Korki morgen früh schon von mir infiziert sein. Sie sind quasi Kontaktpersonen "2. Grades". Ich habe genau diese Frage an die App-Entwickler gestellt. Als Antwort bekam ich einen Link zu einer Seite des RKI, wo die App beschrieben ist. Der von mir beschriebene Fall ist nicht beschrieben und generell ist die Beschreibung so abstrakt, dass ich das auch nicht daraus lese. Der normale Menschenverstand würde uns alle 4 nun in Quarantäne schicken. Die App tut das offensichtlich nicht.
Unter der Annahme, dass also nur Kontakte 1. Grades verfolgt werden, frage ich mich, wozu die anonyme Benachrichtigung der App dient, wenn ich doch Korki persönlich anrufen könnte und sagen, dass ich Corona-positiv getestet wurde und er bitte aufpassen soll. Vielleicht würde Korki es sogar weitaus ernster nehmen als wenn da irgendein unbekannter Kontakt stattgefunden haben soll...
Aus meiner dieser Sicht kann ich mir einen sinnvollen Nutzen der App also nur dort vorstellen, wo man vielen Menschen über längere Zeit begegnet, und das ist ja nur noch im ÖPNV, oder? Überall sonst kennt man seine Kontakte oder sie sind dokumentiert (Restaurant, Arbeitsstelle,...). Es wird ja auch immer wieder behauptet, im ÖPNV und beim Einkaufen fänden fast keine Übertragungen statt.
Sind das denn alles Szenarien, die den App-Entwicklern nicht bewusst waren? Also mein Chef lässt mich keine 4 Wochen ein Programm schreiben, wenn ich vorher nicht eine ordentliche Aufwands-Nutzen-Abschätzung gemacht habe und auch Alternativen betrachtet habe! Wäre es nicht sinnvoller gewesen, die Millionen für die App-Entwicklung in eine Nachverfolgungssoftware für die Gesundheitsämter zu stecken und die Ämter untereinander richtig zu vernetzen? Dann wäre auch die große Ungewissheit ausgeräumt, wer und wieviele sich die App überhaupt installlieren, geschweige denn nutzen.
Ist die App vielleicht ein Prestige-Projekt, weil die 20 Millionen Smartphone Nutzer mittels App besser sehen, was der Staat da geschafft hat, als wenn irgendeine "Software" in den Rechnerräumen der Gesundheitsämter vor sich hin läuft..? Die Tatsache, dass Apple und Google für die Realisierung eine Sicherheitslücke auf Smartphones aufgemacht haben und dass ausgerechnet SAP den Zuschlag bekommt, denen "Big Data" ganz und gar kein Fremdwort ist, kann einen auf komische Gedanken bringen...aber jetzt hör ich lieber auf.
Vielleicht hat es jene Aufwands-Nutzen-Abschätzung ja auch gegeben und es kam raus, dass den Gesundheitsämtern die Infrastruktur fehlt...Henne-Ei-Problem. 