Zunächst: ich finde die Preisgestaltung von CD´s auch größtenteils unerträglich hoch. Und finde das zunächst naiv erscheinende Heilmittel "macht es für die Hälfte" auch diskutierenswert - vielleicht sogar wirklich sinnig.
Mir ist wie vielen von uns auch bekannt dass sich viele Plattenfirmen und CD-Labels nach der Umstellung von Vinyl auf CD Mitte der achtziger bis in die frühen neunziger dumm und dämlich verdient haben. Dann auch noch ganz zu Anfang der Neunziger in einem Strategiepapier bekanntgaben, dass das längerfristige Ziel ist (trotz sinkender Herstellungspreise und noch keiner nennenswerten CDR-Problematik - damals) eine CD- auf das Level von guten Büchern im Verkaufspreis heben zu wollen: 35 DM - 40 DM. Was wir, wenn man den Euro umrechnet ja schon lange erreicht haben.
Trotzdem mal einige sehr konkrete Hintergrund-Infos zum Stand der letzten 5 Jahre. Dieses Jahr ist das fünfte oder sechste in Folge mit mehrprozentigem Absatzrückgang im CD-Sektor in Deutschland. Ob Deutschland der 2. oder 3. größte Absatzmarkt für Musik-CD´s weltweit ist, ist da weniger wichtig. Fakt ist: es geht seit Jahren deutlich bergab. Unbestritten ist auch, dass alle Methoden über Kopierschutz-Verfahren, verschärfte Strafandrohung oder erhöhte Abgaben auf Geräte oder Medien die verlustfreie Digital-Kopien möglich machen, die steigende Anzahl von Kopien im Umlauf nicht ausgebremst und schon garnicht den Absatzrückgang aufgehalten haben. Na klar ist es erlaubt darüber zu debatieren, was die großen Haie der Musikindustrie alles falsch gemacht haben, wie sie uns Konsumenten oder auch Künstler ausgepreßt haben etc. etc.
Aber abseits jeglicher moralisierender vergangenheitsbezogener Betrachtung sind folgende Beispiele gegenwärtig Fakt... und mangels Zeit nur ein Hauch dessen, was mir aus konkreten Beispielen im engsten persönlichen Umfeld bekannt ist:
Eine ehemals große international operierende Plattenfirma hatte bespielsweise vor 10 -12 Jahren in ihrer Deutschlandzentrale in einer speziellen Abteilung 15 Mitarbeiter, die sich die Aufgaben "Pressekontakte", "Bandbetreuung" (z.B: Metallica vom Flughafen abholen etc.) "TV- und Radioairplay" teilten. Noch dazu Musikstil-bezogen. Was den Mitarbeitern das Arbeiten natürlich auch schöner machte. Will heißen, Volksmusik, Pop, Jazz, Rock & Metal - diese Sparten hatten damals eigene! Mitarbeiter. Heute hat diese Firma für die identischen Aufgaben noch DREI MITARBEITER. Jeder muß alles tun, ohne Rücksicht auf Musikstilvorlieben oder Qualifikation. Die anderen Stellen wurden abgebaut.
Vielen Musikern wird in den letzten Jahren immer von den "echten Musikliebhabern" vorgeworfen:
"Ihr seid doch pervers und Verräter an der Rock-Attitüde. Ihr nehmt bei euch Zuhause auf Festplatte auf und schickt die Files um die Welt. Das hat doch mit echtem Bandfeeling und Rockmusik nix mehr zu tun". Ihr solltet als Band doch alles zusammen einspielen." Der Grund ist aber sehr einfach: die meisten Labels investieren fast nichts mehr. Und noch schlimmer: gehen kaum noch irgendein Risiko ein. Will heißen z.B: ein garnicht mal fiktiver Advance von 4000 Dollar gilt für das KOMPLETTE PRODUKT. Es liegt dann in der Hand des Vertragsunterzeichnenden Musikers dieses Endprodukt zu liefern. Dazu gehört: Komponieren, texten, Bezahlen der Musiker, Miete des Studios & Equipments, Aufnehmen, Mischen, Mastern etc. Das fertige Produkt wird dann als CDR dem Label geschickt. Teilweise ist im Advance sogar die Covergestaltung enthalten. Jetzt kann sich jeder an einer Hand abzählen was passiert. Die meisten Musiker versuchen so knapp wie möglich zu kalkulieren, soviel wie möglich selbst zu machen. Damit der Sound nicht vollends Richtung "Phonoakademie-Treffen 1874 geht" (da ein geringes Budget mit konventioneller Aufnahmetechnik keine zeitgemäßen High-End-Sounds zuläßt) verwenden auch im Rockumfeld immer mehr Musiker Plug-ins, den Trigger-Stuff oder programmieren alles in Sachen Drums (teilweise auch Keys, Bass und Chöre) selbst. Nicht nur weil sie pervers sind (das sind manche tatsächlich) sondern aus reinem SACHZWANG! Es gab Zeiten da wurde für 4000 Dollar gerade mal das Mastering vorgenommen. Lange ist es her...
Was seit 5-6 Jahren passiert (auch auf internationaler Ebene, nicht nur in Deutschland) ist, dass immer mehr Künstler ihre Verträge verlieren. Es werden soviele ge-dropped wie niemals zuvor. Sie werden, wenn überhaupt, von kleinen unbedeutenden Labels eingekauft oder verkünden mehr oder weniger verlogen auf ihren Websites "ich habe mich entschieden meine Musik selbst zu vermarkten, da mir die großen Labels keine künstlerische Freiheit lassen." In Wahrheit ist das der Offenbarungseid: will heißen - keiner will mich, ich bin am Ende.
Fakt ist, dass wir vor der größten Umwälzung innerhalb der industriellen Tonträgergeschichte stehen - oder uns schon mitten in ihr befinden. Da hilft es nur wenig zu sagen, die Firmen haben viel Geld. Denn die, die viel Geld verdienten (größtenteils Vergangenheit) haben sich teilweise längst von der Tonträger-Branche verabschiedet, "out-gesourced", Multimedia-Konsortien gebildet etc. etc. Sehr viele haben dem klassichen Tonträger längst den Rücken gekehrt. Fakt ist, selbst wenn sich noch einzelne, wenige Konzernbosse von 5 Hostessen im 32. Stock täglich jeden Finger ihrer rechten Hand lutschen lassen- sie investieren nicht mehr in Musik im herkömmlichen Sinne. Die ganze Casting-Scheiße (sorry) ist doch kein Zufall. Es ist der letzte Ausfallschritt der Musikindustrie mit möglichst wenig Investition viel und besonders schnell Geld zu machen und in den Charts hochzusteigen. Wenn man jetzt sogar noch mit gutem Willen von den Konzepten wie "Deutschland sucht den dümmsten Star" absieht, findet man in den Charts auch viele weitere überproportional-skurrile CD-Outputs: "Bravo Kuschelrock Vol. 6347", "Heroin-LSD-Kiffer-Trance Double-CD-Part 523" oder "Lurchi´s Handy-Telefon Gesabber Greatest Hits Vol. 343. Das sind nicht zufällig alles sehr günstig zu produzierende Scheiben, die einen sehr hohen Ertrag versprechen. Gerade bei diesen Kompilationen läuft das teilweise über aberwitzigste Resteverwertungen von Hits, die ihr Verfallsdatum schon überschritten haben- die aber in konzentrierter Form 15 - 30 Tracks zu einem absoluten Hochpeis noch zig tausend Käufer finden. Und/oder in Sachen "Produktionaufwand" hahaha von "Schnappi´s Handy-Gerülpse" irre schnell und billig am PC erstellt wurden.
Auch das sich viele ehemals jedem von uns bekannten Labels längst in anderen Mediabereichen (wenn überhaupt) tummeln, inklusive völliger Liquidierung, womöglich des Verkaufs an andere Unternehmen oder der "Gesundschrumpfung" ihres CD-Sektors kann man seit Jahren im kleingedruckten jedes Wirtschaftsteils verfolgen. Im Kleingedruckten deswegen, weil im Musiksektor zwar Arbeitsplätze vernichtet wurden, deren Zahl aber manchen als Peanuts im Vergleich zu anderen personalintensiveren Branchen erscheint. Das auch den Labels zahlreiche andere Personen und Berufsgruppen zuarbeiteten wird ganz oft vergessen. Graphiker, Fotographen, Druckereien etc. etc.
Wo früher noch 5000 DM oder mehr für ein geiles Plattencover für einen kreativen Graphiker hingelegt wurden, finden sich heute nicht selten 150 Euro für den erstbesten Deppen der am PC irgendeine Photoreal-Optik von einer "Foto-Freunde-Sampler-CD" über Nacht noch mal "anwinkelt" und durch ´nen "Render-Algorithmus schickt" um sie als seine Graphik auszugeben und für Abmahner unerkennbar zu machen.
Ich weiß, ich bin Pessimist: aber ich habe soviele schlimme Rückmeldungen von vielen tollen Musikern und Labelpersonen erhalten und teilweise auch selbst erleben müssen. Ich denke es ist davon auszugehen, dass sich der Musikkonsum und die Vermarktung von Musik revolutionär verändern wird. Nein, ich meine damit nicht die Ablösung der CD durch die DVD oder letztere durch die High Definition DVD.
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