Bei mir kann man es vermutlich so zusammenfassen: zuerst als Jugendlicher einfach frei nach Schnauze gespielt, auch mangels genauer Kenntnis gewisser Techniken. Es ging nur um Spaß haben. Dann kann der Ehrgeiz als junger Erwachsener, begann die genauere Auseinandersetzung mit der Materie; man lernte jeden Schlag von Keith Moon, Ringo, Bonham, White, Baker usw. auswendig und spielte es dann genau so nach. Alles andere war nur ärmlich... "Beste Coverband" sozusagen - nur war man da eigentlich noch wirklich ein Musiker oder nur schnöder Reproduzent von Dingen?
Dann kam der Jazz mit Mitte/Ende 20er hinzu und ich lernte, dass viele Köche viele Versionen von leckerem Brei bei gleich bleibenden Zutaten kochten. Das 1:1 wurde ganz schnell langweilig und die Kreativität kam wieder zum Zuge. Gottlob!
Seitdem spiele ich zwar in Anlehnung an bestimmte Stile und Musiker, mache aber meine eigene Kiste draus, nicht unbedingt zum Nachteil des Songs, wie mir mehrfach attestiert wurde (Manches von Frank Beard oder Jack DeJohnette finde ich z.b. einfach nicht gut gemacht, am Song vorbei gespielt. Das geht auch anders. Manches, wie von Gadd, Blakey, Jones und Co. kann ich einfach nie so spielen, wie sie es tun (klingt einfach nicht authentisch), also wird hier anders gespielt, aber passend).
Die Neuinterpretation bietet eben besondere, neue Räume, Möglichkeiten, Facetten. (Wenn ich das Original hören will, dann nehme ich die originale CD/Platte aus dem Regal und gut ist). Dass "frei nach Schnauze" der eigentlich künstlerisch viel wertvollere Weg ist, hatte ich etwa zehn Jahre lang einfach nicht wahrnehmen wollen - sicher auch, weil eben überall die perfekten Covers gespielt wurden. Auf Festivals, auf Dichröhre usw... "Das muss GENAU SO klingen" (Musikerpolizei).
Wenn mir jetzt jemand sagt, der und der spielt das aber anders, dann zucke ich mit den Schultern und sage: "Ja, mag sein ... und?"
Von daher würde ich die Jugendsünde, "frei nach Schnauze spielen", nicht als Jugendsünde bezeichnen wollen. Denn diese Unbekümmertheit war künstlerisch tausendmal produktiver und authentischer als die "ich kopiere 1:1"-Phase. Das zu erkennen, dauerte aber eben ein wenig.