Studie: Music and Depression

  • Vorwort:
    Vielleicht muss es ins Off-Topic, nachdem oder bevor sich manche dafür interessiert haben oder nicht. Ich mag die aktuell von Help Musicians UK im Rahmen der titelgebenden Kampagne online veröffentlichte Studie als allgemein vielerseits tabuisiertes oder zumindest öffentlich selten aufgegriffenes Thema erst einmal ganz kommentarlos hier ins Forum werfen. Es geht einführend um umfragemäßige Selbstauskünfte beruflich Musikschaffender.


    Can Music Make You Sick? Music and Depression
    A study into the incidence of musicians’ mental health
    University of Westminster / MusicTank
    November, 2016

    Zusammenfassung (2 Seiten)
    Studie (Part 1) (69 Seiten)

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    Gesendet von meinen Babyphone mit Papatalk

  • Also macht nun die Musik an und Pfirsich depressiv, oder doch eher einfach die Arbeitsbedingungen, Zukunftsaussichten, der Druck - all diese Attribute,
    die mit dem Berufsmusiker verbunden sind?

    Eher letzteres, wie ich das verstehe.
    Wäre sonst komisch.


    Mein erster Gedanke zu dem Thema war auch, dass Künstler eher zu depressivem Verhalten neigen.
    Kann das sein?
    Oder verhält sich das im Verhältnis gleichmäßig zur übrigen Bevölkerung?

  • Hi!


    Ich finde die Studie recht interessant und könnte vermutlich den ganzen Tag drüber nachdenken und schreiben. Ich versuche es mal in Kurzform:


    Ich denke, es ist eine logische Konsequenz. Wenn man sich z.B. in einer Phase befindet, wo es wirtschaftlich nicht gut läuft und man rational betrachtet aber an der Situation nichts ändern kann.
    Man kommt zu dem Entschluss, dass man diese Situation nicht absichtlich oder grob fahrlässig herbeigeführt hat. Dann glaube ich, dass ein Mensch, der seine Leidenschaft / sein Hobby / zum Beruf gemacht hat
    sich selbst wesentlich kritischer hinterfragt als beispielsweise ein Elektriker oder ein Anwalt. Eben weil Kunst i.d.R. auch nicht mathematisch Messbar ist. Um das Beispiel des Elektrikers nochmal herbeizuführen:


    "Glühbirne leuchtet nicht. Glühbirne gewechselt. Leuchtet wieder. Auftrag ausgeführt."


    Oder der Anwalt:


    "Mandat XY war in einen Verkehrsunfall verwickelt. Er ist nicht Schuldig. Der Richter spricht ihn schuldig. Wir gehen eine Instanz höher. etc...."


    Bei den beiden Beispielen gibt es irgendwann in Computersprache eine "0" oder eine "1". Also ein messbares Endergebnis. Und genau das hat der Künstler relativ selten.


    Beispiel Musiker oder Zeichner:


    "Ich habe etwas neues produziert / erschaffen. Ich habe etwas über meinen Geschmack und mein Empfinden preisgegeben. Das ist gerade das "bestmögliche", was ich schaffe. Ich habe viele Stunden daran gearbeitet.
    Trotzdem reicht´s nicht zum Erfolg, keine will es hören, sehen oder kaufen....etc...


    Die Fallbeispiele sind natürlich bewusst vereinfacht und auch überspitzt. Aber unterm Strich halte ich das für die Gefahr in Sachen Depressionen und/oder allgemeines, psychisches Wohlbefinden des Künstlers.


    Nur meine bescheidene Meinung.

  • Interessant, danke! Also macht nun die Musik an und Pfirsich depressiv, oder doch eher einfach die Arbeitsbedingungen, Zukunftsaussichten, der Druck - all diese Attribute,
    die mit dem Berufsmusiker verbunden sind? Das ist für mich schon ein beträchtlicher Unterschied, und wenn dem so ist, ein irreführender Titel...


    Was bisher fertig und veröffentlicht ist, ist Part/Phase 1 der Studie, in der zunächst festgestellt wird, dass laut Selbsteinschätzung der Musikschaffenden eine erörterungswürdige Verbindung zwischen Musikberufen und depressionsartigen Erkrankungen überhaupt besteht. Im Untertitel wird geklärt, dass eine gewisse Häufigkeit des Zusammentretens der beiden titelgebenden Schlagworte untersucht werden soll. In der Annahme, dass die Ursachen des Zusammentretens im Lauf der Studie erst erörtert werden sollen, wäre es wissenschaftlich unseriös, vermeintlich plausible Ursachen als Vorweg-These oder gar Ergebnis der Studie bereits in der Projektüberschrift vorwegzunehmen.


    Gerade im Königreich kommt aber auch mir spontan z.B. in den Sinn, wie sich bei den Olympischen Spielen 2012 sämtliche Musiker, auf denen dort ja ein gewisser Nationalstolz beruht, mehr oder weniger freiwillig ehrenamtlich betätigen mussten. Ein leitsatzmäßiges Zwischenergebnis von Part/Phase 1 der Studie lautet schließlich auch unmissverständlich "Music Helps, a Musical Career Doesn’t". Wie dieser Satz unter verschiedenen Genres und Tätigkeitsfeldern aufzuteilen ist, wird vielleicht in folgenden Phasen der Studie deutlicher.
    Ihr Titel macht das Ganze aber auch breiter zugänglich - von Musik als solcher in der Überschrift fühlen sich sicher mehr Leute angesprochen als von konkreten Existenzängsten, die es nicht nur bei Musikern gibt.


    Mein erster Gedanke zu dem Thema war auch, dass Künstler eher zu depressivem Verhalten neigen.
    Kann das sein?


    Gerade die Überschrift lässt hoffen, dass auch dies im Fortgang der Untersuchung nicht vernachlässigt wird. Ein weiteres Ergebnis könnte auch sein, dass womöglich ein überdurschnittliches Maß an Gedankentiefe, Sensibilität etc. bei Musikschaffenden vorhanden ist, welches auch zu Depressionen Neigenden nachgesagt wird. Das Zusammenspiel verschiedener Komponenten würde die Untersuchung spannender machen.


    Dann glaube ich, dass ein Mensch, der seine Leidenschaft / sein Hobby / zum Beruf gemacht hat
    sich selbst wesentlich kritischer hinterfragt als beispielsweise ein Elektriker oder ein Anwalt. Eben weil Kunst i.d.R. auch nicht mathematisch Messbar ist.


    Das ist ein interessanter und überlegenswerter Ansatz, auch wenn - aus dem Nähkästchen geplaudert - anwaltliche Tätigkeit zwar ergebnisorientiert, aber keineswegs mathematisch messbar ist. Ein Anwalt würde wahrscheinlich spontan jeden Musiker erst mal um dessen vermeintlich bestehende künstlerische Freiheit beneiden, die ihm in seinem völlig durchregulierten Arbeitsalltag komplett abgeht. Auch das kann z.B. als Hinderungsgrund für fehlende Selbstverwirklichung krank machen. Daneben wird sein Arbeitsergebnis, wie beim Künstler auch, kaum objektiv ("mathematisch", wissenschaftlich) beurteilt, sondern subjektiv nach der gefühlten Interessenlage des Auftraggebers (Rechtsstreit verloren -> schlechter Anwalt / Werk gefällt mir nicht -> schlechter Musiker - beides geläufig).


    Allgemein ist die Rezeption desjenigen, der ein Arbeitsergebnis "konsumiert", wahrnehmungsgesteuert subjektiv - das gilt nicht nur, aber insbesondere für künstlerische Betätigung - darauf könnte man sich sicher einigen. Und jeder - auch fachlich völlig Unbewanderte - hat natürlich ein Recht auf seine subjektive Wahrnehmung und Meinung über das Arbeitsergebnis.
    Wenn man sich aber verdeutlicht, dass die Würdigung einer Arbeit oft an der mehrheitlichen Rezeption gemessen wird, wird ein konkretes Kunstschaffenden-Dilemna deutlich, weil an dieser Stelle "Popularität" in's Spiel kommt. Popularität hat - in der Musik wie in der Politik ;) - nichts mit der fachlichen Qualität der Arbeit zu tun. Die eigene Tätigkeit auf die Bedienung populärer Bedürfnisse zu fokussieren, würde mehr von erfolgsorientierter Betätigung zeugen, als von fachlicher Expertise, und das birgt Konfliktpotenzial, äußerlich wie innerlich.


    Natürlich ist nicht alles, was populär ist, fachlich minderwertig, und natürlich kann man populäre Bedürfnisse auch mit fachlicher Stärke bedienen. Nur wird durch eine Bindung wirtschaftlichen Fortkommens an Popularität des Arbeitsergebnisses dem Musikschaffenden faktisch ein Teil seiner so beneidenswerten künstlerischen Freiheit gerade genommen.
    Anerkennenswertes wird zuweilen nicht anerkannt, würdigenswertes nicht gewürdigt - ich kann mir vorstellen, dass das eine Rolle spielt bei den Musikschaffenden, wenn es darum geht, wie zufriedenstellend sie ihre berufliche Tätigkeit empfinden. Außer bei der rein wissenschaftlichen Betätigung, die erfolgsunabhängig entlohnt wird, sind Musiker auf ein Feedback angewiesen, das sie oft nicht bekommen.
    Würdigendes Feedback könnte außer dem berühmten Applaus auch eine gewisse öffentliche Förderung sozialer Absicherung sein, für die interessenvertretende Organisationen wie "Help Musicians UK" sich engagieren, das könnte ein vorausahnbares Gesamtergebnis einer solchen Studie sein.


    Derweil ist mir nicht klar, was Part/Phase 2 beinhalten soll, bin gespannt.
    Edit: Gefunden, es wird - man ahnte es vielleicht - in Part 2 um Vertiefung der Ursachenforschung hinsichtlich des in Phase 1 erst einmal erkannten Zusammenspiels von Musikarbeit und seelischer Gesundheit, und in Part 3 um Lösungs-/Linderungsmöglichkeiten gehen, S. 16/17.

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  • Ein weiteres Ergebnis könnte auch sein, dass womöglich ein überdurschnittliches Maß an Gedankentiefe, Sensibilität etc. bei Musikschaffenden vorhanden ist, welches auch zu Depressionen Neigenden nachgesagt wird.


    Genau das hatte ich mit meinem Post gemeint, aber Du hast das hiermit meiner Meinung nach treffender ausgedrückt.


  • Wie auch in anderen künstlerischen Bereichen. Ohne eine gewisse Gedankentiefe ist es schwierig kreativ zu sein. Es birgt aber auch die Gefahr einer Depression, wo allerdings noch viele andere Komponenten ihren Teil dazu beitragen (können), angefangen bei der Kindheit bis hin zu traumatischen Erlebnissen, Überforderung im Job oder Privatleben, usw.

    Ein sehr interessantes Thema, welches leider noch zu sehr totgeschwiegen wird.



    In der Therapie von Depressionserkrankungen wird unter anderem auch mit Musik gearbeitet, also dem nutzen von Instrumenten.


    Gruß Michael


  • diese Studie ist ja nicht die einzige, gibt noch anderes med. Material, z.B. aus der Suchtberatung. Von Vertrauensärzten, etc.


    Die Realität sieht ja so aus, daß das Ergattern eines Studienplatzes (5 von 100) noch wesentlich weiter auf die Spitze getrieben wird, wenns dann hinterher um einen Job geht. Möglichst Festanstellung in einem subventionierten Orchester, da haben wir plötzlich 1-2 von 500.
    Der Druck ist so enorm, erstens obs wirtschaftlich überhaupt weitergeht bzw. anfängt, obs techn. + künstlerisch ausreicht, dieser Standard muß nicht nur gehalten, sondern gesteigert werden, weil viele Musiker eben keine Festanstellung bekommen haben, sondern alle paar Wochen aufs neue vorspielen müssen, immer um sich gegen die vielen Nachfolger durchzusetzten. Die im klass. Bereich noch deutlich gepusht werden durch viele wahnsinnig gute Asiaten, die auf den europäischen Markt drängen.
    Kranksein/Krankmelden geht gar nicht, auf dem Flur stehen schon 20, die den Job mit Freude übernehmen.


    Die Folgen: massiver Konsum von Aufputsch/Beruhigungsmittel, Alkohol, Drogen aller Art - hier werden auch die neuen Berufskrankheiten geboren für Berufsmusiker.

    ..."meine" Musik: Jazz (Big Band bis Free), brasil. Musik, Avantgarde, hin+wieder Klassik ->am Drumset, an den Percussions, am Schlagwerk

  • Das Kunst und labile und extreme Stimmungsschwankungen Hand in Hand gehen (können), ist ja nun hinlänglich bekannt. Ganze Generationen von Künstlern sind in ihrem Leben chronisch hart am Rande des Nervenzusammenbruchs oder des Suizids herumgesegelt oder haben zuweilen die Segel gestrichen. Es gibt ja auch eine ganze Reihe von konkreten Ursachen. Da könnte man Romane drüber schreiben. Einiges wurde ja schon angesprochen.

    Einzelheiten für den Musikbereich nun mittels Studie herauszufinden, wäre da natürlich hochinteressant, weitere Erkenntnisse werden aber höchst wahrscheinlich nicht zu verifizieren sein.


    Denn: Die "Huhn-Ei-Nummer" dürfte hier nur schwer aufklärbar sein:


    Ist der Musiker nun depressiv oder hört/macht der Depressive einfach gerne Musik ?
    Werden also Musiker depressiv (oder haben einen Hang dazu) oder ist es vielmehr nicht etwaig umgekehrt:
    Depressive neigen vielleicht einfach überdurchschnittlich dazu, Musiker (oder Künstler allgemein) zu werden.


    Den Knoten wird die Studie nicht klären können.

    "Pommes/currywurst hat einfach seine eigenen Gesetze."
    (c) by frint / 2008


    "Es macht so viel Spaß, ein Mann zu sein, das können sich Frauen gar nicht
    vorstellen!" (c) by Lippe / 2006

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