Musik "authentisch" spielen

  • Hallo,


    ich denke darüber nach, wie Beat, Rock, Punk, Blues, Jazz oder Reggae authentisch gespielt sein sollten.

    Auch im Zusammenhang mit Musikunterricht.

    Wenn ich z.B. an authentische Rock-Musik denke, dann denke ich an die 60er Jahre, an Drummer wie Ringo, Charlie Watts, Keith Moon, Bonham, o.ä.

    Das sind zu hohem Anteil Drummer, die nie wirklich Unterricht genommen haben.
    Es sind nicht die "technischsten" Drummer, noch nicht mal die besten Time-Keeper.
    Aber heute feiert man das als den authentischen Sound dieser Jahre. Ringo hat ja meines Empfindens nach erst in den letzten 15 Jahren die Anerkennung gefunden.


    Ich frage halt auch, was ist authentischer Rock?
    Wenn 3 oder vier junge Leute sich mit 16 entscheiden, eine Band zu machen? Und dann ohne Unterricht, oder mit nur wenigen Stunden Unterricht rum proben, auf sub-optimalen Instrumenten und Drum-Kit ungestimmt rum-bedämpft und so "sloppy", ungenau wie sie spielen, einen Auftritt im Jugendclub machen?


    Oder wenn 30-jährige Akademie-Absolventen Rock spielen, mit ausgefeiltem Songwriting, spieltechnischen Skils, hoher Genauigkeit und auf sehr guten Instrumenten ihre Rock-Songs auf guten Studio-Aufnahmen oder auf professionell gemischten Live-Gigs abliefern?

    Gehört nicht das Rumgeeier, das rummpellige Gedrumme im Stil junger unausgebildeter Drummer nicht authentisch zum Rock?

    Ich will das nicht auf Rock begrenzen.


    Skiffel, Beat, Rock, Punk sind wohl diesbezüglich in einer Linie.

    Wie denkt ihr darüber?

    Grüße

    "Es lohnt sich, in unserem Land zu leben. Da muss man für Werte eintreten, und wer diese Werte nicht vertritt, der kann jederzeit dieses Land verlassen, wenn er nicht einverstanden ist. Das ist die Freiheit eines jeden Deutschen." - Walter Lübcke, 22. 8. 53 - 2.6.19, ermordet.

    Einmal editiert, zuletzt von Burkie ()

  • Ich denke, Authentizität hängt immer zusammen mit dem direkten Vorbild, das man in dem Fall abbilden möchte. Das kann ganz abstrakt eine Epoche/ein Genre sein, oder ganz konkret eine Band/ein Künstler. Gleichzeitig ist Authentizität ja nicht gleichbedeutend mit einem bestimmten Level an spielerischem Anspruch.


    In dem Zusammenhang fallen mir vor allem Artikulation und Sound ein, um das zu erreichen.

    Du sagst es ja selber: Wenn du Beatles oder Stones spielen willst brauchst du dir keinen Click ins Ohr stecken. Das heißt, zum authentischen Spielen gehört eine Analyse der Spielweise: on time, laid back? Welche Grooves/Fill-Ins sind üblich? Gibt es Besonderheiten? (Sagen wir z.B. bei Metallica: Hihat Top sitzt immer locker auf dem Bottom, kein Ride, oft Crashbecken auf der zwei)

    Das lässt sich denke ich auf die meisten Genres übertragen.

    Dazu kommt dann noch der Sound. Led Zeppelin brauche ich vermutlich nicht mit meinem Gretsch New Classic in 18/12/14 covern, für die Jazzcombo kann ich meine 14x7 Pearl Free Floater daheim lassen, für meine Deathmetalband nehme ich kein Jazzride mit und so weiter.

    Ich würde daher vereinfacht auf diesen drei Ebenen denken:
    1. Das Vorbild verstehen
    2. Inhalte aneignen
    3. Sound entwickeln
    (4. wäre der Vollständigkeit halber noch die Attitude, die man auf der Bühne vermittelt)

    Und ob etwas letztendlich "authentisch" ist, richtet sich wie gesagt daran, was man versucht abzubilden. Gerade für Tribute-Bands natürlich ein spannendes Thema.
    Ist das unbedingt nötig um gute Musik zu machen? Ich denke, am Ende des Tages: Nein :)

  • Meine Erfahrung mit Tribute ist, wenn der Gesang fast wie das Original ist, freut sich der überwiegende Teil des Publikums. Ob jetzt der da an den Acryltrommeln eher wie Jason Cooper oder Boris Williams klingt, war bei PiCtUREs of you zweitrangig, solange erkennbar Robert Smith zu hören ist. Puristen würden natürlich Lol Tolhurst oder Andy Andersson nennen.

    Innerhalb dieser engen Grenzen war es meine Aufgabe, das Fundament zu legen und den Laden zusammen halten. Der größte Lohn war, wenn sichtbar die Menschen vor der Bühne ihren Spaß hatten. Meine Authentizität begrenzte sich darauf, welches Fill ich spiele.

    Umso einfacher ist meine aktuelle Situation mit Filux: Frei von Vorgaben kann ich mir überlegen und vorallem ausprobieren, was ich spiele. Wegen der Samples war ein Klick bisher absolut notwendig. Dank der Verstärkung an den Tasten ist das wohl vorbei und ich freier beim Tempo.

    Da wir über der Basis festgelegter Strukturen und Abläufe improvisieren, denke und fühle ich, dass wir im Augenblick authentisch sind und das macht mir mehr Spaß als Teil einer Reproduktion zu sein.


    Was zeichnet all die oben genannten Schlagweker aus? Ein eigener Stil!

    Wer leichter glaubt, wird schwerer klug!

  • Authentisch spielt man, wenn man sich in der Stilistik auskennt und sie so wiedergeben kann, dass das Publikum das auch hört.

    Ob man an der PopAkademie war, oder mit nicht ist dafür völlig irrelevant.

    Technisch unversierte Spieler bashen halt gerne mal ausgebildete Musiker um sich selbst mehr Relevanz zu verschaffen.

    Fakt ist, auch die Ausbildung macht aus einem Langweiler höchstens einen ausgebildeten Langweiler und es gibt durchaus Leute, die irgendwie durch dieses Musikstudium kommen ohne wirklich gut zu spielen. So wie es auch komplette Autodidakten gibt, die mega gut sind.

    Die Diskussion wurde aber auch schon gefühlt 1000x geführt.

  • "Angewendet auf Personen bedeutet Authentizität, sich gemäß seinem wahren Selbst, d. h. seinen Werten, Gedanken, Emotionen, Überzeugungen und Bedürfnissen auszudrücken und dementsprechend zu handeln, und sich nicht durch äußere Einflüsse bestimmen zu lassen"


    Nach dieser Definition ist man nicht authentisch wenn man etwas kopiert. Authentische Musik ist, wenn ein Musiker seine Darbietung überzeugend vermittelt.

    Ich denke das hat nichts mit den 6oer Jahren zu tun. Authentizität ist zeitlos.


    Ich denke, Authentizität hängt immer zusammen mit dem direkten Vorbild, das man in dem Fall abbilden möchte.

    Genau das ist eben nicht authentisch, denke ich.
    Ich habe und hatte keine Vorbilder, die ich abbilden möchte. Schon gar nicht hatte ich je den Drang jemanden zu kopieren ;)
    Ich bringe meinen eigenen Stil in meine Musik und das ist auch rauszuhören.
    Sachen die andere schon gemacht haben interessieren mich nicht. Covern finde ich langweilig und spassbefreit.
    Das einzige was mich interessiert ist Technik und Kreativität. Da kann man sich natürlich bei anderen Musikern was abschauen und Inspiration holen.


    Ich mache einfach Musik und denke nicht darüber nach, ob ich authentisch bin.
    So handhaben es glücklicherweise auch die Musiker meiner Bands.


    Davon ab, finde ich Musiker die "sloopy" und schlampig spielen eher nervend und anstrengend. Besonders wenn sie schon Jahre auf der Bühne stehen.
    Das heisst nicht, das ne Schülerband, die erst seit Wochen ihre Instrumente spielt keine Konzerte geben sollte.
    Aber wenn nach 5 Jahren die immer noch genauso rumschlampen, dann nervt das halt.
    Ich kenne einige die das so handhaben. Da bin ich dann auch weit davon entfernt die als Musiker bezeichnen zu wollen.

    Experte in Dingen, von denen ich keine Ahnung habe.

  • Ich finde es besonders authentisch, wenn man vermitteln kann, dass man die Musik, die man spielt, selbst wirklich mag.


    Das beschränkt einen bei weitem nicht auf einen Stil. Aber wenn ich mir z.B. diese Drumeo Videos ansehe, in denen sie allerhand illustren Jazz und Fusion Drummern irgendwelche Metal Klassiker (von denen sie vorgeben, die nie gehört zu haben...) servieren (und natürlich auch andersrum), kommen die mir manchmal ziemlich limitiert vor. Und das hat nichts mit Skills zu tun, sondern aus meiner Sicht mit der Tatsache, dass sie mit der Musikrichtung, die sie da spontan bedienen sollen, zumindest auf die Schnelle (und wenn man so will vom Geschmack her) nichts anfangen können.


    Man muss Bock drauf haben. Und wenn da jemand behauptet, er oder sie habe noch nie Enter Sandman oder vergleichbare Songs gehört, dann muss die Person schon einen ganz gewaltigen Bogen um mehrere ganze Genres gemacht haben. Das kann ich nur mit aktiver Ablehnung bzw. starkem Nichtgefallen erklären - und das hört man dann auch.


    Ein von mir hoch verehrtes Beispiel wäre Bill Ward, der mit seinem Buddy-Rich-Set Black Sabbath gründete und als mit-Erschaffer des Heavy Metal, rein musikalisch, nur bedingt Vorbild für jene und ihr Spiel ist, die heute als Ikonen der Szene gefeiert werden.

  • Authentisch spielt man, wenn man sich in der Stilistik auskennt und sie so wiedergeben kann, dass das Publikum das auch hört.

    Ob man an der PopAkademie war, oder mit nicht ist dafür völlig irrelevant.

    Technisch unversierte Spieler bashen halt gerne mal ausgebildete Musiker um sich selbst mehr Relevanz zu verschaffen.

    Fakt ist, auch die Ausbildung macht aus einem Langweiler höchstens einen ausgebildeten Langweiler und es gibt durchaus Leute, die irgendwie durch dieses Musikstudium kommen ohne wirklich gut zu spielen. So wie es auch komplette Autodidakten gibt, die mega gut sind.

    Die Diskussion wurde aber auch schon gefühlt 1000x geführt.

    Sehe ich sehr ähnlich. Ich denke das hat in der Tat auch erst mal sehr viel mit Wissen über die jew. Musik zu tun: Wer sind die prägenden Künstler ? Was sind die prägenden Strömungen und Aufnahmen ? Was ist der kulturelle Kontext ?


    Ich denke nicht, dass man das per se "mögen" muss...Du wirst halt erst mal mit Sachen sozialisiert, die Du im Umfeld hast...das brennt sich sicher auch erstmal fester ein als anderes. Aber man kann sehr wohl verstehen wie bestimmte Musik entstanden ist und das auch stilsicher und authentisch nachbilden. Ich bin auch oft mit der Denke rangegangen "achso Punkrock. Naja halt ungelenkes Rockdrumming mit etwas Gebrülle drumrum"...Das ist ja auch im Jazz nicht anders. Wenn Du die Sprache nicht kennst und Dir nicht die Mühe machst sie zu erlernen, bleibst Du auf dem Niveau von Hape Kerkeling der Schwedisch imitiert...nach dem 2. "Satz" merkst Du hier stimmt was nicht.

    "If you don't have ability you wind up playing in a rock band" (Buddy Rich)

  • Das Thema hat viel zu viele Facetten. Aber man muss die Musik die man da spielt nicht unbedingt mögen, oder sich damit identifizieren. Sonst könnten Studio- und Mietmusiker ja oft keine gescheite Performance abliefern. Authentisch ist Musik für mich, wenn sie so dargeboten wird, dass man dem Künstler die Performance abnimmt und er sich im Sinne der zu spielenden Musik damit auseinandergesetzt hat. Sonst könnte der hoch qualifizierte Patrick Metzger wohl nicht schon seit Jahren bei Beatrice Egli auf dem Hocker sitzen. Oder Steve Gadd bei Paul Simon, Chick Corea, seiner eigenen Jazz-Band und bei der lebenden Schlaftablette James Taylor eine absolut passende Performance abliefern. Deswegen wird auch ein Kenny Aronoff seit 40 Jahren für alles mögliche gebucht.


    Gerade die Drumeo-Videos liefern ja gute Beispiele. Stewart Copeland ist da sicher der persönlich authentischste gewesen. Der hat sich beim Video, wo er Limp Bizkit spielen sollte, gar nicht ernsthaft mit dem Song auseinandergesetzt. Er war einfach er selbst, hat irgendwas gespielt und schnell das Interesse verloren. Viele fanden das originell, ich fand es wirklich nur peinlich. Oder Portnoy, der einen eher schlichten Nickelback-Song mit seinem Guckmalwasichalleskann-Getrommel zugehämmert hat. Da ist es musikalisch authentischer, wenn Instagram-Sonnenscheinchen Domino Santantonio wirklich zu verstehen versucht, wie ein Mastodon-Song funktioniert und dann versucht, dazu was passendes zu spielen, was den Song abbildet.


    Und dann sollte das Dargebotene auch ein gewisses Qualitätsniveau haben. Ich finde immer dass zu Authentizität auch ein gewisser Qualitätsanspruch gehören sollte. If you want to dig a hole, dig a good hole. Deswegen kann ich so Kapellen wie Tocotronic überhaupt nicht leiden, die ja von sich selbst und ihren devoten Fans für den Gipfel des authentischen Musikantentums gehalten werden, die sich aber nicht die gerinste Mühe geben, ihren Krempel ordentlich zu spielen.

    Lieber einen sitzen haben und nicht mehr stehen können als einen stehen haben und nicht mehr sitzen können ;)

  • Ich hab mal irgendwo einen Kommentar zum Stimmen von Schlagzeugen gelesen, der ernsthaft meinte, es käme bei Rock nicht so drauf an, dass das Schlagzeug gut gestimmt sei, schließlich sei es ja nur Rock. Für mich spricht aus so einer Aussage eine gewisse Arroganz.

    Gehört nicht das Rumgeeier, das rummpellige Gedrumme im Stil junger unausgebildeter Drummer nicht authentisch zum Rock?

    Diese Arroganz unterstelle ich deiner Frage natürlich nicht. Aus meiner Sicht gehört das rumpelige zur Anfangszeit des Rock durchaus dazu, aber dann hat eine Professionalisierung eingesetzt. In frühen Rockproduktionen hört man manchmal einen Drummer, der swingt, während die anderen gerade 8tel spielen.

    Bereits Mitte der 1960er kamen Bands wie Pink Floyd oder Deep Purple hoch und haben deutlich weniger rumpelig gespielt, Led Zeppelin finde ich auf den Studioplatten auch nicht so rumpelig. Mir scheint das eine typische Entwicklung zu sein, die auch in anderen Genres beobachtet werden kann. Etwa im Grunge kam erst Nirvana mit einer eher rumpeligen, fast schlampigen Art daher, aber dann folgten andere mit exakterer Spielweise, wie etwa Soundgarden.


    Da führt mich zurück zur ursprünglichen Frage: was ist authentisch?

    Ich finde es besonders authentisch, wenn man vermitteln kann, dass man die Musik, die man spielt, selbst wirklich mag.

    Bei dieser Aussage gehe ich mit. Wenn du die Musik magst und fühlst, die du spielst, dann ist es authentisch.


    Mein Vater hat etwa mit Mitte 50 (so alt bin ich jetzt) angefangen, Schlagzeug zu spielen, als ich mal eins meiner Sets nicht unterbringen konnte und es bei meinen Eltern im Keller abgestellt hatte. Er hatte weder Spieltechnik noch irgendwelche anderen Kenntnisse, aber sein Swing klang, wie er muss. Das war die Musik seiner Jugend, Lionel Hampton und Dizzie Gillespie waren seine Helden, und so spielte er einen glaubwürdigen Swing, den ich nie erreicht habe, weil das nun mal nicht meine Musik ist.

  • naja also der Prozess ist doch so: Keiner kommt mit irgendwas auf diese Welt, dass nicht von dieser Welt ist. Demnach mag es sein, dass Du nicht dieser oder jener sein willst dennoch steckt in Deinem Spiel ca. 100 Jahre stilistische Entwicklung (quasi der Massdownload dessen was Rich, Krupa, Papa Jones, Bonham, Gadd etc. hinterlassen haben)....unausweichlich (Mein 1. Hauptsatz).


    (2. Hauptsatz : Von nix kommt nix ! 3. Hauptsatz : Das Ganze ist mehr als die Summe der Teile ist (bzw. weil ich eine Weltklasse Technik habe kann ich noch lange nicht gut in einer Blaskapelle spielen...auch wenn das der eine oder andere "Rhythmusklemptner" hier gerne anders sieht) )


    Authentisch ist vllt. auch die falsche Begrifflichkeit....fragen wir vllt. eher was wir tun müssen, um uns in einer "Formensprache" oder Idiom auszudrücken, damit es als einer Stilistik zugehörig empfunden wird ?


    Das kannst Du nur glaubwürdig, wenn Du den Prozess, der zu diesem Stil geführt hast irgendwie nachvollziehst (da Du ja nicht im Moment der Innovation dieser Stilistik teilgenommen hast). Nachvollziehen bedeutet dann aber sich zunächst mit dem auseinander zu setzen bzw. es konkret anzufassen, bzw. es zu kopieren/transkribieren, was sagen wir mal ein Tony Williams gemacht hat. (Mein 3. Hauptsatz)


    Danach kommt (meiner bescheidenen Meinung nach....und ich habe ja nur genau 1 Meinung) das, was Du hier Spaß nennst : Nämlich sich von dieser Basis wegzubewegen und Dein Ding zu machen.


    Problem: Das Verfahren ist (leider oder vllt. auch zum Glück) aufwändig (mein 2.Hauptsatz)...naja und da kommt man dann in Versuchung zu sagen "Alles Quatsch und ein unkreativer Spaßbremsender Blödsinn" das uns zum 4. Hauptsatz führt : Es sich einfach zu machen ist völlig menschlich (manchmal ja auch wirklich sinnvoll ;) !

    "If you don't have ability you wind up playing in a rock band" (Buddy Rich)

  • Hurraaaa, mal wieder ein richtiger Schwurbelthread :D

    Authentisch ist halt so ein Modewort in einer Zeit, in der immer mehr "preconfigured stuff" aus der Konserve kommt. Diese ganzen Youtube- und TikTok-Influencer prägen einerseits den Style, andererseits lassen sie bei vielen vermutlich eher älteren Menschen den Wunsch nach mehr "Echtem" aufkommen, und das nennt man dann bisweilen authentisch.


    Mir ist das im Grunde völlig egal, für mich zählt, dass Musik gut und mit Freude dargeboten wird, wobei "gut" passend zur Intention sein sollte. Sprich, habe ich mit meiner Darbietung mein Ziel erreichen können? Spieltechnisch nicht umsetzen zu können, was die Musik erfordert, nervt mich dabei ebenso wie permanentes Overplaying. Klassiker sind für mich als Drummer bei Amateurbands dann -sogar nicht mal so selten - Schlagzeuger, die kaum ein Fill wirklich in Time spielen können. Da hilft es wenig, wenn ne eingespielte Band das permanent kompensiert, es bleibt eben "nicht gut".


    Und wenn ich ner Rockband beim fröhlichen, biergeschwängerten megalauten Runterrotzen schlechter selbstkomponierter Songs zuhören muss, ist das nicht authentisch, sondern einfach Mist, und ich nehme Reißaus. Konzerte sollen für mich als Zuhörer Entertainment sein, nicht Selbstverwirklichung. Deshalb gilt bei mir auch ganz klar, lieber gut gecovert, als schlecht komponiert. Aussagen wie die von Beeble kenne ich von früheren Bands auch, konnte aber noch nie was damit anfangen.


    Bezogen auf diverse Musikstile bringt mich Authentizität auch nicht wirklich weiter. Authentische kubanische Musik findet man halt auch nur in nem kubanischen Cafe, es sei denn man hat Glück, irgendwo ne Horde von Exilkubanern zu finden, die fernab ihrer Heimat kubanischen Flair aufblitzen lassen.


    Wenn ich den Job bekomme, mit einer Band aus lauter Deutschen Kuba zu imitieren, bereite ich mich darauf vor, indem ich authentische Aufnahmen höre, analysiere und hoffentlich ein bisschen mehr verstehe. Selbst wenn sich alle Musiker so akribisch vorbereiten, wird daraus aber keine authentische kubanischen Musik, weder jetzt noch nach 20 Jahren.


    Ich verstehe Authentizität in der Musik immer im gesellschaftlichen Kontext, der sie hervorbringt, und keine von uns Deutschen adaptierte Stilistik hat diese Bezüge. Ob nun Reggae, Blues, Punk, Gangsta-Rap oder sonstwas, wir satten, feisten Wohlstandskinder entkernen eigentlich die Musik selbst beim Versuch, sie "authentisch" klingen zu lassen.


    Und so komme ich wieder zurück zum Anfang. Mir reicht es, wenn Musik gut und mit Freude dargeboten wird :😀


  • ...das ist natürlich auch ein interessanter Punkt : Gehört also das technisch unperfekte zur Originalität ? Ich denke "ja auch" auf jeden Fall, denn Dein Schülerband Beispiel ist doch eigentlich genau das Ursprüngliche. Ich finde das ist eigentlich der Spirit aus dem dann Stilistik herausraffinieret wird...quasi das Rohöl...


    Innovation ist in der 1.Version immer unperfekt. Dann irgendwann erkennst Du die Fraktionen, die Du herausdestillieren kannst, weil Sie irgendwie funktionieren (z.B. beim Publikum) bis es dann weiter ausoptimiert wird (oder das Unperfekte zum Stilmittel erhoben wird) ...bis dahin sind 99% der "Spinner" raus sind und es bleiben die Visionäre und Enthusiasten, die am Ende dann durch Kommerzialisierung frustriert oder Steinreich sind ;-).


    Die Antwort auf Deine Frage wäre dann für mich: Was ist die Essenz des Stiles bzw. was sind dessen Stilmittel. Das ist aber natürlich akademisch, weil wie unten ja einige dann berechtigt um die Ecke kommen und sagen "was kümmert mich das Schubladengeschiebe, solange die Mucke gefällt" (aber Deine Frage kommt ja aus der Akademikecke, daher mein Geschwurbel....bzw. die auf meine Art ausgedrückte Sicht auf den Sachverhalt...shit, schon wieder geschwurbelt ;-).

    "If you don't have ability you wind up playing in a rock band" (Buddy Rich)

  • Hurraaaa, mal wieder ein richtiger Schwurbelthread :D

    Au ja! :D


    Ich verstehe unter Authentizität eigentlich, man selbst zu sein und sich nicht zu verstellen. Also eben genau nicht, jemanden möglichst gut zu kopieren.


    Diese Authentizität machte einige der genannten Schlagzeuger auch zu Ikonen. Weil die einfach sie selbst an ihrem Instrument waren und dadurch oft einen unverkennbaren Sound entwickelt haben. Dave Grohl sagte mal in einem Interview, dass ein guter Schlagzeuger sich seiner Meinung nach dadurch auszeichnet, dass man nach 15 Sek. weiß wer es ist. Ganz egal wie technisch ausgereift das Gespielte ist, es geht ums Feel.

    Eloy Casagrande sagte mal in einem Interview, dass es wichtig wäre, man selbst am Instrument zu sein und nicht zu versuchen, jemanden zu kopieren.


    Und genau das halte ich auch für die wahre Herausforderung auf dem eigenen musikalischen Weg. Man kann andere gut kopieren und dabei kann man auch viel lernen.

    Aber die Selbstfindung am Instrument ist eine der größten Herausforderungen, meiner Meinung nach.


    Da ich mich in den letzten Jahren auch noch mal viel mit meinem Timing beschäftigt habe und auch sehr viel Wert auf ein gutes Timing lege, haben sich mir solche grundsätzlichen Fragen auch schon gestellt. Ein perfektes Timing schließt auf der anderen Seite nämlich jedes Vorhandensein von Feel aus. Deswegen gibts ja sogar "Humanizer"-Funktionen für Drumcomputer, die leichte Ungenauigkeiten einbauen.


    Davon abgeleitet stellt sich mir persönlich eher die Frage, wie unsere Zunft ihre "Daseinsberechtigung" behalten kann. Ein Schlagzeug ist im Bandkontext oft am einfachsten ersetzt und bei Top40-Bands vs. DJs interessiert die besoffene Crowd oft überhaupt nicht, ob da noch einer Schlagzeug spielt oder die Wumme komplett aus der Konserve kommt.

  • Zitat:


    "Ein perfektes Timing schließt auf der anderen Seite nämlich jedes Vorhandensein von Feel aus."


    Ist das dein Ernst? Entweder ich spiele mit "Feel", oder was auch immer, und habe dann Timingschwankung, oder mein Timing ist gut und ich habe kein "Feel"?

    Lieber einen sitzen haben und nicht mehr stehen können als einen stehen haben und nicht mehr sitzen können ;)

  • Authentisch kann es mMn nur sein, wenn die Band einen Stil verstanden hat. Musik muss man fühlen, und bei manchen Genres ist das gar nicht so einfach weil der Kontext in der eigenen Gesellschaft fehlt.

    Beispiel Blues: den fühlt man nicht durch das Lesen von Geschichtsbüchern. Das reine Wissen, worum es geht, reicht meist nicht aus. Blues, der nicht den ursprünglichen Wurzeln entstammt, ist oft nahezu seelenlos.

    Elvis wurde (und wird noch immer) von einigen Menschen kulturelle Aneignung vorgeworfen. Nun gut, immerhin ist er im Blues-Delta geboren, hat von Kindheit an den Blues aufgesogen und die Rassentrennung hautnah miterlebt. Seiner armen Herkunft war es geschuldet , dass er praktisch als Schwarzer groß wurde. Erst später half ihm seine Hautfarbe, Erfolg mit seiner Musik zu haben. Durch seine Kindheit und Jugend war er zeitlebens ein Schwarzweißer.

    Besonders authentisch hat er dann den Blues - und auch viele Gospels - gebracht.


    Aber der Blues einer bayrischen Kombo (oder von mir aus auch einer Band aus Hamburg) wird sich nie so anhören und anfühlen, wie der Blues aus Memphis oder New Orleans.


    Ich war irgendwo in Alabama unterwegs. Dünn besiedeltes Gebiet, ein Haus, 2 Kirchen und ne Tankstelle. Neben der Zapfsäule saß ein älterer Mann in einem Schaukelstuhl. Daneben als Deko ein bunt angestrichener Marterpfahl. Ich denke, ich war die einzige Kundschaft innerhalb einer Woche. Er betankte seelenruhig mein Auto, putzte die Scheiben und verkaufte mir ne Flasche Gatorade. Als ich weiter fuhr, dachte ich: "Jetzt verstehe ich Country!". Genau in dem Moment hatte ich ihn verstanden. Ja, so war das.

    "Ambition is a dream with a V8 engine" - Elvis Presley

  • Zitat:


    "Ein perfektes Timing schließt auf der anderen Seite nämlich jedes Vorhandensein von Feel aus."


    Ist das dein Ernst? Entweder ich spiele mit "Feel", oder was auch immer, und habe dann Timingschwankung, oder mein Timing ist gut und ich habe kein "Feel"?

    Mit "perfektem Timing" meine ich, dass alle Schläge Millisekundengenau auf dem Raster sind. Wie ein Drumcomputer eben.

    Und so kann auch kein Mensch spielen, nicht mal die Timing-mäßig besten Schlagzeuger.


    Feel zeichnet sich u.a. genau durch ganz leichte Unperfektheiten im Timing aus. Z.B., wenn die Snare immer ein paar Millisekunden später oder früher als der Rest kommt. Abgesehen von Dynamik / Akzentuierung und Anschlag eben.


    Die Frage danach, ob das "mein Ernst" ist und dann so eine schwarz/weiß-Interpretation rauszuhauen, kommt mir schon wieder eigenartig vor. Gegenfrage: Ist dieser Beitrag DEIN Ernst? ;)


    Nein, "Timingschwankungen" oder ein schlechtes Timing sind nicht gleichbedeutend mit "Feel" und ein gutes Timing schließt weder "Feel" aus noch bedeutet ein gutes Timing, so perfekt wie ein Drumcomputer zu spielen.

  • Ich würde sagen, Begriffe wie perfekt und unperfekt werden oft von Leuten verwendet, die bei der Bewertung von Rhythmik ein festes Tempo und ein Gitter (Quantisierung) anlegen. Daher kamen die zumindest früher gängigen Ansichten, dass Ringo und Charlie „unperfekt“ spielten, was ich mittlerweile als grobe Fehleinschätzung lese. Musik ist halt Kunst; keine Mathematik.

    M.

  • Ich würde sagen, Begriffe wie perfekt und unperfekt werden oft von Leuten verwendet, die bei der Bewertung von Rhythmik ein festes Tempo und ein Gitter (Quantisierung) anlegen. Daher kamen die zumindest früher gängigen Ansichten, dass Ringo und Charlie „unperfekt“ spielten, was ich mittlerweile als grobe Fehleinschätzung lese. Musik ist halt Kunst; keine Mathematik.

    M.

    Das ist alles Interpretationssache und von der Verwendung der Begriffe abhängig. Ein "unperfektes" Timing mit vielen Schwankungen kann eben genau "perfekt" für die jeweilige Musik sein. Viele ältere Alben, die ich gern höre, wurden ohne Klick eingespielt.


    Ja, es gibt Leute, die Musik mathematisch betrachten. Beim Unterrichten ist das z.T. auch hilfreich, aber man sollte Musik definitiv nicht darauf reduzieren.


    Und das Spielen ohne Klick mit Temposchwankungen heißt auch noch lange nicht, dass man ein schlechtes Timing hätte.

    Letztes Wochenende hatte ich wieder mal mit einer Bluesband gespielt, komplett frei ohne Metronom, mit reichlich Dynamik und ganz sicher auch Temposchwankungen. Zwischendurch kam der Tonmann zu mir und lobte mich für mein tightes Schlagzeugspiel.

  • Ich will ja nicht wortklaubern, aber wenn du sagst, dass einerseits ein perfektes Timing jedes Vorhandensein von Feel ausschließt, dann aber im nächsten post sagst, ein gutes Timing Feel nicht ausschließt, dann wäre die Frage: Was denn nun?

    Lieber einen sitzen haben und nicht mehr stehen können als einen stehen haben und nicht mehr sitzen können ;)

  • Ich will ja nicht wortklaubern, aber wenn du sagst, dass einerseits ein perfektes Timing jedes Vorhandensein von Feel ausschließt, dann aber im nächsten post sagst, ein gutes Timing Feel nicht ausschließt, dann wäre die Frage: Was denn nun?

    Das veranschaulicht sehr gut, wie komplex und diffus das Thema ist.


    Man könnte vielleicht festhalten, dass ein perfektes Timing nur das eines Drumcomputers ist, wo eben alles Millisekundengenau auf einem Raster liegt. Alles andere ist sehr schwammig und abhängig von der Definition und Interpretation.


    Ein "gutes" Timing mit "gutem" Feel und "tightes" Spiel müssen definitiv nicht so perfekt wie ein Drumcomputer sein.


    Wie gesagt - auch die tightesten Drummer sind immer noch Menschen und spielen nicht 100% perfekt.

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