• Mh, ganz ergebnisoffen gefragt, auf die Gefahr hin dass das etwas vom Thema abweicht: Ist das denn wirklich so, also geht diese Schere wirklich auseinander?
    Nach meinem Empfinden war es eigentlich schon immer so, dass massentaugliche, gefällige Musik für den breiten Markt maximal glattpoliert, unkompliziert und möglichst wenig kontrovers war und "Szene-Musik", mit einem gehobeneren musikalischen Niveau, in den Charts eher die Ausnahme war.


    Mal so als Beispiel: Selbst Toto waren damals bis zur IV eher eine Nischenband und galten (ohne Witz) in Rezensionen als "steril" und "Musikerband ohne Seele". Erst mit der IV gelang der kommerzielle Durchbruch und selbst hier - und wir reden hier bei Rosanna und Africa von Songs, die quasi dem Drummingweltkulturerbe angehören - waren die Chartplatzierungen für eine Band dieser Art zwar ein enormer Erfolg, im Vergleich zur "glattgebügelten" Konkurrenz jetzt aber auch nicht überdurchschnittlich.
    Klar hattest du vermutlich schon eine große Dichte an sehr guten Studiomusikern, die über Bands wie Foreigner, Steely Dan etc. weit oben vertreten waren - aber du hattest eben auch Madonna, Abba (nicht, dass die schlecht gewesen wären) und weitaus mehr noch glattgebügelteren, aus musikalischer Sicht eher belanglosen Krempel. Hier mal die deutschen Albumcharts vom Juni 1982


    Einen John Coltrane hat man damals auch von der Bühne gebuht - heute kommste im Studium an Giant Steps eigentlich nicht mehr vorbei.
    Frank Zappa, Weather Report, King Crimson...ich glaube, solche Beispiele, in denen die langfristige musikalische Bedeutung bei weitem nicht in Relation zum damaligen kommerziellen Erfolg steht, gibt es für jeden Zeitabschnitt unserer Popgeschichte.


    Wobei man natürlich schon sagen muss, dass der Turbokapitalismus der Musikindustrie schon auch seine Spuren hinterlässt, gerade in Verbindung mit Social Media:
    Die Aufmerksamkeitsspanne der Hörenden wird immer kürzer (und damit auch die Songs, denen Raum zur Entfaltung fehlt), durch technischen "Fortschritt" und KI hast du ganz andere Produktions- und Vermarktungsmöglichkeiten, auf Studiomucker bist du fast gar nicht mehr angewiesen, sich allein als Full-Band zu finanzieren ist schon schwierig genug; Clicks, Reichweite und Umsätze pendeln immer extremer in Richtung der Major-Artists und im Grunde sind Verkaufszahlen auch überhaupt nicht mehr repräsentativ. Und auf der anderen Seite will man im Extremen immer weiter, schneller, höher, um irgendwie noch herauszustechen, weil alles davor irgendwie schon gesagt wurde.


    Gleichzeitig finde ich, hast du so (also durch moderne Medien) aber auch die Möglichkeit, progressiven Bands einen größeren Markt zu verschaffen. Klar, in direkter Relation ist das immer noch Nische, aber in totalen Zahlen kommt da ja auch ordentlich was zusammen: Selbst ein Xavier Ware mit seinem gottlosen Gechoppe spielt den Krempel eben vor 10.000 Leuten in der Frankfurter Festhalle.
    Und irgendwo auf dem Weg zum reinen Musikergefrickel gibt es ja immer noch Zwischenstufen. Sei es ganz aktuell Sleep Token, Snarky Puppy, oder schon seit etwas längerem Porupine Tree, Tool, Opeth, Muse, Radiohead - immer natürlich abhängig davon, wo man persönlich seinen Sweet Spot aus Anspruch und Hörbarkeit legt, und was man als kommerziell erfolgreich einordnen möchte.

    Meiner liegt schlagzeugtechnisch übrigens ziemlich genau hier.

  • Jetzt kommt aber der ganz weite Bogen. Musik für den Massengeschmack hat doch schon immer den Anspruch erfüllen müssen, möglichst viele Menschen anzusprechen. Und die große Mehrzahl der Konsumenten intersessiert sich null für instrumentale Virtuosität, vor allem nicht von Schlagzeugern. Die hören auch Rosanna oder 50 ways to leave your lover, merken dass es groovt wie Sau, haben aber keine Ahnung, dass das an den genialen Groove-Ideen der Herren Porcaro oder Gadd liegt und haben auch nicht die geringste Idee, was die da machen. Und dass bei großen Acts live Leute an den Trommeln sitzen, die ihr spielerisches Niveau dort nicht im Geringsten abrufen müssen, ist doch auch klar. Dafür kann man solche Leute heute bei Dua Lipa, morgen bei nem Country-Act und übermorgen bei ner Fusion-Kapelle hinsetzen. Thema Hired Guns, hier im Forum an anderer Stelle. Da sagt man dann immer schnell "glattgebügelt", aber das ist eben gerade oft das, was die jeweilige Musik braucht. Schönes Beispiel dafür ist noch mal Mike Portnoy bei Drumeo, wie er Shake it off von Taylor Swift interpretiert. Da sind teilweise ganz coole Ideen dabei, und man merkt was der alles kann. Aber dieser Song braucht das schlicht nicht. Und wenn er so aufgenommen worden wäre wäre es auch kein Hit geworden.


    Und um mal den Bogen zu dem Xavier Ware zu schlagen: Ja, der kann echt spielen. Ja, er hat ein paar coole Ideen, die er da in die Musik reinkloppt. Aber macht er mit seinem Spiel eine dieser von begleiteten musikalischen Aufnahmen besser? Ich finde nicht. Er präsentiert seine Chops, an jeder Ecke irgendein Gewurschtel, schneller, höher, weiter. Bei dieser DrumCam-Aufnahme geht es noch, aber die Musik braucht auch da dieses Gerühre nicht. So beeindruckend das ist, es ist meilenweit von einem Rosanna-Shuffle (ist von Pretty Purdie, ich weiss :) ), den vom Namensgeber so gekonnt eingesetzten Bonham-Triplets, der um die Drum-Ideen herumkomponierten Strebermusik von Anika Nilles oder den durchkomponierten Drumparts eines Neil Peart bei Rush entfernt. Das ist ShowOff-Getrommel zur Eigenpräsentation. Wenn er immer so spielen will muss er sich Frickelheimer suchen, die auch so spielen wollen. Dann wird allerdings das breite Publikum ausbleiben, dann frickeln die für nen Hunderter, ne Wurst und ein Bier in Clubs rum. Ist das gerecht, wo er (und viele andere) es doch so gut kann? Ja, denn keiner muss ja Musik hören. Wenn er ein breites Publikum erreichen will, muss er halt was machen, was ein breites Publikum anspricht.

    Lieber einen sitzen haben und nicht mehr stehen können als einen stehen haben und nicht mehr sitzen können ;)

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